Page 2 - ProAgrar Ausgabe 49 Sued_07
P. 2

2 | INTERVIEW
„MEHR TIERWOHL KOSTET MEHR GELD“
TRANSFORMATION. „Sollen wir auf Facetime um- schalten“, fragt der Gesprächspartner gleich nach der Begrüßung zur verabredeten Zeit. Jochen Borchert
ist daheim in Wattenscheid auf seinem Bauernhof. Montag und Dienstag habe er Zeit, ließ der 80-jährige viel gefragte und maximal beschäftigte frühere Bundes- landwirtschaftsminister, CDU-Politiker und kluge Land- wirtschaftsexperte zuvor ausrichten. Oft ist er noch in Berlin, berät die aktuelle Ministerin Julia Klöckner. In Corona-Zeiten changiert er derweil von der Vor-Ort-
Präsenz zum Digitalen. Zoom, Teams oder andere Sys- teme – Jochen Borchert ist nun häu g auf vielen Kanä- len per Video-Konferenz mit der Republik verbunden, die ihn mit zahlreichen Mandaten ausgestattet hat. Vielleicht wünscht er sich deshalb: „Kann man sich nicht mal auf ein System verständigen, das alle nut- zen?“ So wie in der Nutztierhaltung. Auch hier ist er Pragmatiker und hat der Bundesregierung einen Entwurf für die Zukunft präsentiert, über den er mit ProAgrar im Interview spricht.
Herr Borchert, wie ist es Ihnen eigentlich gelungen, mit der nach Ihnen benann- ten 30-köp gen Kommission einen Ent- wurf zu präsentieren, hinter dem sich alle versammeln?
Sie fragen natürlich mit dem Hinter- grund, dass auch der Wissenschaftliche
Rat vor fünf Jahren Vorschläge zur veränderten Nutztierhaltung in Deutschland gemacht hat.
Die waren inhaltlich nicht ganz weit von unserem Konzept entfernt. Aber daraus ist bekanntlich nichts geworden.
Warum nicht?
2015 war Deutschland noch nicht reif dafür. In den vergangenen fünf Jahren haben die gesellschaftlichen Debatten neuen Drive bekommen und die kriti- sche Einstellung zur Tier- und Fleisch- produktion hat mit Rasanz zugenom- men. Neben der Ökonomie wird gleichrangig über Ethik und Ökologie diskutiert. Zudem haben Bundesge- richtsurteile wie zur Sauenhaltung oder zum Kükenschreddern die Forde- rungen an die Politik beschleunigt, et- was zu tun. Die Belange des Tierschut- zes wiegen schwer. Wir hatten die Wahl, ob wir uns in Zukunft von den Gerichten in der Nutztierhaltung trei- ben lassen oder der Staat ordnungspo- litisch auf Gesetzesebene eingreift. Unser Kompetenznetzwerk von
30 Personen aus allen Bereichen hat sehr lösungsorientiert, kompromissbe- reit und pragmatisch gearbeitet, das machte letztlich den Erfolg aus. Die Mehrheit der Landwirtschaft und der NGOs tragen unser Konzept, das hat es so noch nie gegeben.
Wie geht es denn jetzt weiter, kommt der Einstieg in die von Ihnen skizzierte neue Nutztierhaltung noch vor der Bun- destagswahl?
Das wird so sein. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Den Einstieg brauchen wir bis zur Bundestagswahl in einem Jahr. Ich habe keine Sorge, dass das nicht klappt, CDU, SPD und Grüne haben ihre Unterstützung signalisiert. Bund und Länder müssen jetzt zusammen- arbeiten und die notwendigen Gesetze auf den Weg bringen. Ich bin sicher, dass das Projekt in der nächsten Legis- laturperiode, unter welcher politischen Konstellation auch immer, fortgesetzt wird. Wir brauchen jetzt eine möglichst
ProAgrar Ausgabe 49 Süd | September 2020
Fotos: Daniel Hübler


































































































   1   2   3   4   5